Das Erdbeben in Gujarat -
als Tourist beobachtet

Peter Mika

Unsere diesjährige Reise nach Indien sollte uns nach dem Start in Delhi mit der ‘Parade zum Tag der Republik’ direkt nach Ahmedabad bringen, dort wartete mein langjähriger Freund Shrikant Parikh schon auf uns. Wir - das sind Lothar Scharf, Dietmar Jacobs und Peter Mika, alle aus Berlin - wollten dann weiter in Richtung Madhya Pradesh um ein normales touristisches Programm durchzuführen.

Am Freitag, den 26.01.2001, trafen wir uns gerade in der Lobby unseres Hotels, als die Ausläufer des Bebens die Stadt erreichten. Hier hat nur einer aus unserer Gruppe das Schwanken bemerkt, doch die wackelnden Lampen waren für alle sichtbar. Aber schnell war das Ereignis für uns vergessen. Die Parade ließ uns an anderes denken. Am Nachmittag waren wir im Stadtteil Jangpura zum Essen eingeladen. Auch unser Gastgeber erwähnte das Beben nicht weiter. Erst am Abend brachten Fernsehberichte uns die Erkenntnis, daß wir Zeuge des stärksten Erdbebens in Indien seit 1956 waren. Über zerstörte Häuser und viele Tote in Ahmedabad wurde berichtet. Die Stadt, die Ziel unserer Bahnfahrt am nächsten Tag sein sollte. Die Telefonleitungen in die Stadt waren gestört, Leute in Delhi rieten von einer Fahrt nach Ahmedabad ab: die Stadt soll für Touristen gesperrt sein, die Züge fahren nicht, Krankheiten drohen. Am nächsten Vormittag kam dann nach mehreren vergeblichen Versuche ein Anruf meines Freundes: Es gab viele zerstörte Häuser, aber wir können kommen, es besteht keine aktuelle Gefahr. An mögliche Nachbeben haben wir nicht gedacht. Nachmittags fuhr der Zug pünktlich ab. Einige Lokalpolitiker wurden vor dem Zug interviewt. Sonst gab es auf der gesamten Fahrt keine besonderen Hinweise oder Ankündigungen.

Als sich der Zug morgens mit nur zehn Minuten Verspätung Ahmedabad näherte hielten wir gespannt Ausschau nach Anzeichen für das Erdbeben. Zunächst sahen wir ‘nur’ am Stadtrand einen leerstehenden (?) Neubau, der teilweise eingestürzt war. Waren wir erleichtert - oder enttäuscht?

Bei einer ersten Fahrt durch die Altstadt waren keine Erdbebenschäden zu sehen. Betroffen ist fast nur die Stadthälfte westlich der Sabarmati. In der Vorhalle unseres Hotels - das Apartment, das mein Freund Shrikant für uns vorgesehen hatte liegt in einem Hochhaus und der Zugang ist verboten - wohnt behelfsmäßig eine Familie. Den nächsten Eindruck vom Beben gab uns Kaushal, Shrikants Sohn, er berichtete wie er mit dem Kran seiner Firma vierzig Stunden im Einsatz war, um Trümmer zu heben und nach Opfern zu suchen. Angeleitet wurden die Arbeiten meist vom Militär. Er hatte nur wenige Stunden geschlafen und ging nun zu seinem nächsten Einsatz. Auf einer Besichtigungsfahrt nach Gandhinagar, auch dort gab es einige Schäden, erlebten wir die ersten Hilfeaktionen. Eine Gruppe Jugendlicher sperrte die Straße und bat die Autofahrer um Spenden für die Erdbebenopfer.

Etwa 70 Häuser wurden durch das Beben in Ahmedabad zerstört. An die 1000 Personen verloren hier ihr Leben. Etwa 100 weitere Häuser wurden so stark beschädigt, daß sie abgerissen werden müssen. Fast nur neue Bauten sind in der Stadt betroffen, fast immer sind Baufehler die Ursache. Nachträglich wurde auf ein 10stöckiges Hochhaus ein Swimmingpool gebaut: 33 Tote. Ein 4stöckiges Studentenwohnheim wird in nur vier Monaten fertiggestellt, das neue Semester naht. Der frische Beton müßte gewässert werden um gut abzubinden. Diese Zeit wird eingespart: auch hier 33 Tote.

Aus Sicherheitsgründen wurden alle Hochhäuser gesperrt, solange die Nachbeben andauerten. Wer nicht bei Verwandten oder Freunden unterkommen konnte, für den wurden Zelte aufgestellt, das Leben fand vor den Häusern statt, für Essen wurde gesorgt. In Ahmedabad gab es ausreichend Unterstützung und Hilfe.

Überall in der Stadt war eine große Hilfsbereitschaft für das Erdbebenzentrum zu sehen. Moscheen und Tempel dienten als Sammelplätze für Kleiderspenden. Ganze Straßengemeinschaften waren mit der Herstellung von Fladenbrot beschäftigt. Auf einer Straßenseite wurde der Teig geknetet. Auf der anderen Seite wurden die Brote in heißem Öl gebacken, zum Abkühlen ausgebreitet und in Tüten verpackt. An mehreren Stellen wurden Lastwagen mit Hilfspaketen beladen. Es waren augenscheinlich einheitliche religiöse Gruppen, die jeweils zusammen arbeiten. Aber es waren alle Gemeinschaften vertreten.

Noch vor unser Weiterfahrt beobachteten wir auf dem Bahnhof - der Zug kam aus Rajkot und hatte 3 Stunden Verspätung - wie offensichtlich studentische Gruppen den aus Kutch geflüchteten Leuten Hilfe und Rat für die Weiterfahrt anboten. Mehrmals wurde kostenlose Nahrung verteilt. Später lasen wir in Zeitungen, daß die Gemeinschaft der Kofferträger solidarisch einen großen Teil ihrer geringen Einkommen für die Erdbebenopfer gaben.

Wir möchten uns hier auch bei Shrikant Parikh und Dhananjay Desai bedanken, die uns durch ihre freundschaftliche Unterstützung und Hilfe den Aufenthalt und das Erleben in Ahmedabad möglich machten.

Die ersten Berichte vom Erdbeben kamen aus Ahmedabad, die Schäden an Menschen und Gebäuden sind für die dort Betroffenen furchtbar. Weitaus schlimmer sieht es im Zentrum des Bebens aus. In Kutch gab es Zehntausende von Toten, Städte wurden zu über 80% zerstört. Hier war die Hilfe nicht sofort vor Ort. Hier wird auch heute noch Hilfe für den Wiederaufbau benötigt. Auch über die DIG sind Spendengelder nach Kutch geflossen und es wird noch weitere Hilfe benötigt. Unsere Gelder kommen sicher dort an, wo sie gebraucht werden. Wie leider üblich, gab es in den Wochen nach dem großen Beben in indischen Zeitungen Berichte über Hilfen, die in die falschen Taschen und Kanäle geflossen sind. Viel größer ist aber die tatsächliche Hilfe, die ihr Ziel erreichte und die großartige Unterstützung die Kutch durch Hilfe aus dem eigenen Land durch die eigenen Landsleute erfahren hat.


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